Von Oldenburg nach Tsingtau

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Carl Friedrich Wilhelm Siedenburg, genannt Willi, war nur neun Monate in Tsingtau tätig, doch seine Zeichnungen, die er im Sommer 1899 von der Kiautschou-Bucht anfertigte, sind ein wertvoller Beleg für die Historiker.

Willi Siedenburg wurde am 13. Dezember 1875 als zweitältestes von sechs Geschwistern in Oldenburg geboren. Die Eltern wohnten an der Friederikenstraße 6 in Oldenburg, der Vater Wilhelm Siedenburg war Ministerial-Buchhalter.

Friedrikenstrasse 6 um 1890

Nachdem Willi Siedenburg die Schule nach acht Jahren abschloss, begann er eine Ausbildung als Zimmermann bei der Zimmerei Bartels an der Alexanderstraße in Oldenburg. Ab dem Jahr 1894 besuchte er die Baugewerkschule in Varel. Nach dem Abschluss begann er seinen Dienst bei dem Wege- und Wasserbauamt in Jever, doch schon ein Jahr später wechselte er nach Wilhelmshaven. Ab dem 7. Januar 1898 arbeitete er im Konstruktionsbüro des Hafenbauressorts der Kaiserlichen Werft als Bautechniker. Dort fertigte er Zeichnungen an und berechnete die Massen und Kosten. Zu seiner Arbeit gehörte auch die technische Prüfung von Kostenvoranschlägen und zusätzlich musste er Zeichnungen für den Umdruck verkleinern. Am 15. Februar kündigte er sein Arbeitsverhältnis und bewarb sich als Bautechniker beim Reichsmarineamt, um im fernen Pachtgebiet Kiautschou Vermessungen durchzuführen. Am 4. März 1899 verließ der Dampfer „Darmstadt” Wilhelmshaven in Richtung Ostasien.

Noch aus Wilhelmshaven sandte Willi Siedenburg eine Postkarte mit einer Abbildung des Dampfers bei der Ausreise. Er hatte sich wahrscheinlich für drei Jahre verpflichtet, denn auf der Ansichtskarte schrieb er: „Nun liebe Eltern, lebt wohl, hoffentlich sehen wir uns alle in drei Jahren wieder.”

Von Bord schickte er datiert vom 29. März 1899 vom Dampfer des Norddeutschen Lloyds: „Lunch!… ab jetzt nur noch Chinesenfutter”. Am 11. April erreichte der Dampfer Tsingtau. Sofort schickte er eine Ansichtskarte: „Es ist unglaublich, was hier schon alles geschafft worden ist.“

Von nun an schrieb er regelmäßig Postkarten und Briefe an die Eltern nach Oldenburg. Auch an seine Schwester Dora, die im Telegraphenamt am Markt tätig war, schickte er ausgewählte Postkarten. Oft waren es besondere Abbildungen von chinesischen Frauen und er schilderte ihr auch vom Leid der Chinesinnen, dass sie mit den gebundenen Füßen kaum gehen konnten.

Auf einigen Postkarten schrieb er nur einen kurzen Gruß mit „Alles Wohl!“, auf anderen Postkarten verfasste er Gedichte.

Er suchte stets besondere Ansichtskarten aus; an seine Eltern und seine Freunde schickte er Szenen von Prinz Heinrich von Preußen, der am 5. Mai mit der S.M.S. „Deutschland” gemeinsam mit den Begleitschiffen S.M.S. „Gefion” und S.M.S. „Kaiserin Augusta” in die Kiautschou-Bucht einlief. Die Ankunft der drei Schiffe wurde von vielen Menschen in Tsingtau beobachtet.

Auf den Karten gab er immer als Absendeort das Dorf Tapautau an. Dort war sein Arbeitsplatz, das Hafenbaubüro. Dieses Haus war eines der ersten Häuser in Tsingtau, wahrscheinlich kam es als sogenanntes Exporthaus aus Deutschland. Auch das Wohnhaus des Gouverneurs kam vorgefertigten Bauteilen von der Hamburger Firma Schmidt. Direkt neben dem Büro wurde ein Wohnhaus für die Angestellten bebaut.

Quelle: Wang Dong, Qingdao

Ende Juni berichtete Siedenburg vom Krieg nahe der Stadt Kiautschou, auch seine Kompanie musste ausrücken. Aber am 1. Juli schrieb er: „Beim besten Wohlsein.“

Ein paar Tage später gab er als Ort Tsintau an (noch bis Dezember 1899 fehlte das „g“ in Tsingtau) an. Er berichtete, dass er im Lazarett liege, machte aber keine näheren Angaben über seine Krankheit oder Verletzung. Aber er schrieb: „Gestern habe ich Gesellschaft bekommen, und zwar Regierungs-Baumeister Merger  welcher schwer an der Ruhr erkrankt ist, denselben haben sie von Lizun 4 Stunden lang nach Cankou getragen, und von dort mit einer Barkasse hierher gebracht.“

Im August kamen die Postkarten wieder aus Tapautau und er beschwerte sich bei seiner Schwester, dass keine Nachrichten aus Oldenburg kämen.

Am 3. Oktober schrieb er, dass er ein Gesuch über die Gewährung einer Heimreise beim Gouvernement eingereicht hätte. Aber er erwähnte nicht, warum er verfrüht abreisen wollte. Keine Angaben über eine Krankheit, seine Texte sprühten vor Witz: „Tadelloses Wetter, Temperatur ca 15º R. Viel Wind. Bierverhältnisse schlecht. Magen ausgezeichnet. Herz Volldampf voraus. Humor wird bald dem Siedepunkt erreichen.“

Sein Gesuch für eine Heimreise wurde genehmigt. Wann er Tsingtau verlassen hat, ist nicht bekannt, aber am 10. Dezember bestieg er den Reichspostdampfer „König Albert” in Shanghai und erreichte Mitte Januar 1900 Bremerhaven.

Wilhelmshaven 1874, Quelle: Postmuseum Friesoythe

Nach einem kurzen Besuch der Eltern in Oldenburg arbeitete er wieder auf der kaiserliche Werft in Wilhelmshaven. Seine ehemaligen Kollegen in Tsingtau schickten ihm regelmäßig Postkarten und Briefe. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit Johannes Pingel, der ihn stets auf dem Laufenden hielt, was die Arbeit im Hafenbaubüro betraf. 1902 kam auch er zurück nach Deutschland.

Eine weiterer Freund war der Bautechniker Walter Reichau, der ihn wahrscheinlich in Oldenburg besuchte. Im November 1901 schrieb er nach Oldenburg: „…Es steht außer Frage, dass ich Ihnen etwas Lebendiges mitbringe….“ Ob er tatsächlich in Oldenburg war, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Und etwas „Lebendiges“? Noch viele Jahre später wurde von einem Affen im Hause Siedenburg berichtet.

Reichau war auch im Hafenbaubüro beschäftigt, er war vier Jahre älter als Siedenburg und stammte aus Westpreußen. Am 9. Mai hatte er in Shanghai geheiratet und 1901 wurde die erste Tochter geboren. Schon kurze Zeit später starb seine Frau in Tsingtau. Im März 1903 kam die Oldenburger Familie Troschel nach Tsingtau, Ernst Troschel übernahm die Leitung des Hafenbüros. Die Familie brachte ein Kindermädchen mit für ihre vier kleinen Kinder. Walter Reichau heiratete bereits Ende 1903 das 17jährige Kindermädchen Elwira Liebert. Nach 1914 kam Reichau in japanische Gefangenschaft und 1920 kehrte die gesamte Familie nach Deutschland zurück und wohnte in Hamburg.

Willi Siedenburg blieb bis zu seiner Pensionierung in der Werft in Wilhelmshaven. 1907 wurde er Beamter auf Lebenszeit. Im gleichen Jahr am 4. Mai heiratete er die zehn Jahre jüngere Margarethe Zeeck aus Bant.

Ab 1919 gab er Marine-Ingenieur als Berufsbezeichnung an und war für strombauliche Arbeiten und Wasserregulierungsarbeiten an der Jade zuständig. Sein Arbeitsgebiet umfasste auch die Insel Wangerooge. Er blieb dort bis zur Pensionierung am 1. April 1941, insgesamt 43 Jahre. Noch im gleichen Jahr, am 28. Dezember starb er in Wilhelmshaven. Seine Frau Margarethe starb 1987 im Alter von 102 Jahren.

Willi Siedenburg gehörte zu den ersten Bautechnikern im Pachtgebiet Kiautschou. Durch die vielen Ansichtskarten bleiben uns die Erinnerungen an seinen Aufenthalt aufrecht erhalten.

Hafenbaubüro 1899

Benutzte Quellen:

Wang Dong, Qingdao

Familienarchive Siedenburg und Schwartz

Adressbuch Oldenburg

Adressbuch Wilhelmshaven