Wilhelm Othmer – Ein Leben für die Sprachen

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Heinrich Friedrich Wilhelm Othmer wurde am 16. Dezember 1882 im ostfriesischen Uthwerdum geboren. Das Dorf Uthwerdum wurde das erste Mal 1476 erwähnt; seit der Gemeindereform von 1972 ist es ein Ortsteil der Gemeinde Südbrokmerland im Landkreis Aurich.

Der Vater Friedrich Othmer (1852-1935) war als Wegebauaufseher im Nachbardorf Georgsheil tätig.

Von 1892 bis 1900 besuche Wilhelm Othmer das humanistische Gymnasium in der Stadt Norden (Ostfriesland), dort fiel den Lehrern sein hervorragendes Gedächtnis und sein Sprachtalent auf. Nach dem Abitur studierte er Geographie, Alte Geschichte und Griechisch in Greifswald. In Berlin setzte er seine philologischen Studien fort und besuchte auch Vorlesungen und Übungen bei Prof. Ferdinand von Richthofen, der ihm geraten haben soll, unbedingt Chinesisch zu lernen. 1904 promovierte er bei W. Sieglin, Professor für Historische Geographie. Danach bereitete er sich auf das Staatsexamen vor. Im Jahr 1907 suchte das Auswärtigen Amtes einen Lehrer für die deutsche Schule in Beijing, um dort Chinesen zu unterrichten. Othmer bewarb sich und als er Ende 1907 in Beijing eintraf, lernte er weiterhin die chinesische Sprache neben seiner Lehr- und Verwaltungstätigkeit. Doch die Schule war nicht zu halten und das Projekt scheiterte. Deshalb wechselte er an die Deutsch-Chinesische Mittelschule in Tianjin. Die Potsdamerin Anna Bernhardi, die zwischen 1905 und 1912 Mädchen in Tianjin unterrichtete, erwähnte in ihrem Tagebuch, dass Wilhelm Othmer wohl guten Unterricht geben würde, aber sich sonst für wenig interessiere.

Deutsch-Chinesische Hochschule

Schon ein paar Monate später erhielt er einen Ruf nach Tsingtau an die am 25.10.1909 gegründete Deutsch-Chinesischen Hochschule, um dort die deutsche Sprache zu lehren. Hier traf er auch Ferdinand Lessing (1882-1961), der an der Übersetzungsanstalt der Hochschule tätig war.

Kollegium Dt.-chin. Hochschule 1911

Die deutsche Kaufmannschaft in Tsingtau regte an, Kurse in der chinesischen Schriftsprache für Deutsche einzurichten. Wilhelm Othmer und Ferdinand Lessing führten diese Kurse durch. Zu diesem Zwecke erarbeiteten sie eine neue, deutschen Lauten angepasste Umschreibung der chinesischen Worte, benutzten also nicht mehr die britische Wade-Giles Umschrift. Die von Stunde zu Stunde angefertigten Lektionen wuchsen im Laufe der Zeit zum ersten Teil des Buches „Lehrgang der nordchinesischen Umgangssprache von Dr. Ferdinand Lessing und Dr. Wilhelm Othmer“. Zudem übersetzte Othmer dieses Lehrbuch auch in die englische Sprache.

Lehrerkonferenz 1912 in Shanghai

Im Jahr 1912 nahmen die Lehrer aus Tsingtau an der Lehrerkonferenz in Shanghai teil, Reinhard Schuhmann führte dabei das Protokoll.

Wilhelm Othmer fand eine Wohnung in der Laushanstrasse (Adressbuch 1910) (heute Anhuilu) in der Nähe des Faberkrankenhauses, dort wohnte auch sein Freund und Kollege Ferdinand Lessing.

Am 17. Mai 1911 heiratete Othmer Elisabeth Buri, die Tochter des Hoteliers Josef Buri in Donaueschingen, die als Krankenschwester im Tsingtauer Faberkrankenhaus arbeitete. Sie war neun Jahre älter als er. Beide fanden eine Wohnung im Haus Hohenloheweg 242 (heute Dexianlu).

Der Sohn Gerhard wurde 1912 geboren und Wilhelm im Jahr 1914.

Gerhard und Wilhelm Othmer

Als im Herbst 1914 die Japaner Tsingtau besetzten, wurde Othmer am 19. Oktober zur Reserve Feldbatterie beordert, um gegen die Japaner zu kämpfen. Schon einen Monat später geriet er wie viele andere Deutsche in japanische Kriegsgefangenschaft. Mit der Gefangenennummer 4005 traf er im November 1914 im Osaka an. Im Gefangenenlager richtete er für die Mitgefangenen Studienkurse ein, besonders solche für chinesische und japanische Sprache. Mit großem Eifer lernte er japanisch. Im Februar 1917 wurde er auf die Insel Ninoshina verlegt.

Während der japanischen Besatzungszeit blieb Elisabeth Othmer mit den beiden Kindern in Tsingtau. Weihnachten 1918 schickte Frau Othmer ein Foto der beiden Söhne Gerhard und Wilhelm ins japanische Kriegsgefangenenlager.

Als Othmer im Frühjahr 1920 nach Tsingtau zurückkehrte, war seine Frau Elisabeth bereits unheilbar krank und starb am 6. August 1920.

Grabstein von Elisabeth Othmer

Ende 1920 bekam Othmer einen Ruf nach Wusong an die Staatliche Chinesische Tongji-Universität. Dort wurde ihm der Titel „Professor“ verliehen.

Deutsche Monatsschrift

Die Tongji-Universität wurde 1907 vom deutschen Arzt Dr. Erich Paulun als „Deutsche Medizinschule für Chinesen in Shanghai“ gegründet. Schon 1912 beschloss die deutsche Regierung, neben der Medizinschule die „Deutsche Ingenieurschule für Chinesen in Shanghai“ anzuschließen, zusätzlich wurde eine Sprachschule eingerichtet, wo die Chinesen deutsch lernen konnten. Im Jahr 1917 besetzten französische Truppen die Schule, deshalb wurden die Klassenräume nach Wusong verlegt.

Othmer muss im Jahr 1922 seine Eltern in Uthwerdum besucht haben. Ab diesem Jahr wird er als ordentliches Mitglied der „Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden“ als Prof. Dr. Othmer Woosung, Shanghai Tungchi-Hochschule geführt.

Kirche Victorbur

Im gleichen Jahr heiratete er in der Kirche St. Victor zu Victorbur (einem Nachbarort von Uthwerdum) die Schwester seiner ersten Frau, Maria Buri (1892-1971). Aus der zweiten Ehe entstammten Carsten (geboren 1923) und Gudrun (geboren 1926).

Als Leiter der Mittelschule an der Tongji-Universität in Wusong machte Othmer sich einen Namen. Neben seiner Lehrtätigkeit übersetzte er viele chinesische Texte, unter anderem:

Die Lebensgeschichte des Feldherrn Sü Da (1332-1385) aus der Geschichte der Ming-Dynastie

Außerdem gab er die zweisprachige Monatsschrift De wen yue kan heraus.

Mit seinem ehemaligen Kollegen aus Tsingtau, Reinhard Schuhmann, tauschte Othmer noch Jahre Briefe aus.

Der jährliche Sommerurlaub wurde mit Frau und den 4 Kindern immer in Tsingtau verbracht. Wegen einer schweren Erkrankung musste Othmer im Oktober 1933 nach Deutschland zurückkehren, er starb am 7. Januar 1934 in Göttingen.

In China erschienen mehrere Nachrufe, so von Ferdinand Lessing und Richard Bergemann in der Ostasiatischen Rundschau. In Nanjing erschien in chinesische Sprache eine umfangreiche Gedenkschrift mit Nachrufen mehrerer Dutzend führender chinesischer Politiker und Wissenschaftler.

Noch heute wird die Arbeit von Prof. Dr. Wilhelm Othmer in Shanghai und Qingdao hoch geachtet, in seiner norddeutschen Heimat ist er vergessen.

Benutzte Quellen:

  • Walravens, Hartmut: Die Potsdamer Porträtmalerin Anna Bernhardi, eine frühe Sinologin. Tagebuchfragmente von ihrem Aufenthalt in Tianjin und ihre Tätigkeit als Mädchenschullehrerin 1905 – 1912, Norderstedt BoD 2021
  • Programm der Deutsch-Chinesischen Hochschule, Tsingtau 1909
  • Steen/Leutner: Deutsch-Chinesische Beziehungen 1911-1927, Vom Kolonialismus zur „Gleichberechtigung“, Eine Quellensammlung, Akademie Verlag, Berlin 2006
  • Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 1925
  • Familienarchiv Schuhmann
  • www.deutsche-biographie.de
  • www.tsingtau.org
  • www.tsingtau.info
  • 王栋: 中德交流史上的文化津梁 in 老照片,济南市,2022