Nachhall der Geschichte

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Das Astor House in Shanghai

浦江饭店

Direkt an der berühmten Garden Bridge, nur wenige Meter vom Bund, liegt das ehrwürdige Astor House mit einer langen Geschichte.

Die alten ausgetretenen Granitstufen führen durch die schweren Eichentüren in die Hotel-Lobby des Astorhauses. Schon hier atme ich den Duft der Vergangenheit des Hauses ein.Der Schotte Peter Felix Richards hatte 1846 die Idee, als viele europäische Kaufleute nach Shanghai kamen, ein Hotel in der Nähe des Bunds (heute östliche Jingling Straße) zu eröffnen. Dieses Haus war der Vorläufer des Astor Hauses.

Zehn Jahre später baute der Brite Charles Wills eine hölzerne Brücke über den Suzhou Creek, und Richards sah die Chance, 22 Mu preiswertes Land an der Nordseite des Creeks zu kaufen. Dort ließ er ein neues zweistöckiges Hotel bauen, das er einfach Richards nannte.

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Solch ein vornehmes Hotel hatte Shanghai noch nicht gesehen, mit den feinsten englischen Möbeln, mit einer Bar, mit einem Billardraum und Pokerraum. Die Einrichtung in der Eingangshalle sieht auch nach so vielen Jahren noch so aus wie damals. Die Kaffeebar mit ihren schweren Tischen und Stühlen hat den Flair der letzten Jahrhunderte behalten. Einige Stufen führen in den prominenten Peacock Ballsaal, der heute nur noch als Frühstückssaal dient. Der originale gewienerte Holzfußboden zeigt noch die Spuren von den Tanzabenden, man spürt die Anekdoten aus alter Zeit. Kronleuchter an der Decke lassen das gewölbte gläserne Dach aus Tiffanyglas auch am Abend anmutig glänzen.

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Schon 1860 verkaufte Richards das Gebäude an den Briten Henry Smith. Und er war derjenige, der das Hotel von da an Astor House nannte. Im Jahr 1903 wurde das Hotel um ein Gebäude mit fünf Stockwerken erweitert.

1907 wurde das alte Gebäude aus dem Jahr 1858 abgerissen, und auf diesem Fundament wurde ein sechsstöckiges Haus errichtet, das erst 1910 fertiggestellt wurde. Wohl viele Deutsche kehrten hier ein, denn am nördlichen Ufer des Suzhou-Creeks befand sich das Deutsche Eck. Schräg gegenüber stand das Gebäude des deutschen Konsulats und daran schloss sich Dr. Kriegs Haus an. Neben dem Garten des Astorhauses stand die deutsche evangelische Kirche.

Die Managerin Dora Lin lädt mich zu einer Führung ein. Im zweiten Stock zeigt sie mir die opulenten Separées, deren Balkontüren sich zum Peacocksaal öffnen lassen; von dort konnte man in der guten alten Zeit den Tanzpaaren zuschauen. Auch hier dominieren die bunten Glasdächer und die Fenster mit wundervollen Ornamenten. Ein Stockwerk darüber wurden in der Victoria Multifunction Hall und der kleineren Wales Multifunction Hall ebenso Feste gefeiert. Heute stehen diese Räume für Konferenzen zur Verfügung.

Gleich daneben zieht sich ein langer Flur entlang, dort liegen in den Vitrinen die Zeugen der ersten Stunde, wie antike Lampen, Ornamente und Baupläne. Auch hier atme ich den Duft der letzten Jahrhunderte ein. Er zieht durch das gesamte Haus. Es ist eine Mixtur aus Tabak, Kräutermedizin, Parfüm, Mottenkugeln und Weihrauch. Berühmte Menschen wohnten hier, so sagt mir Dora Lin. In Zimmer 304 wohnte Albert Einstein im November 1922, er war auf der Durchreise nach Japan; in Shanghai erfuhr er von der Verleihung des Nobelpreises an ihn. Andere bekannte Namen sind der englische Philosoph Bertrand Russell und der Journalist Edgar Snow mit seiner Frau.

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Die vierte Etage ist baugleich, von dort kann man in den dritten Stock hinuntersehen.

An den Wänden fallen mir große gußeiserne Hebel auf. Ich frage Dora Lin nach dessen Bedeutung. Das wären auch Zeichen der Vergangenheit, meint sie. Mit den Drahtseilen, die daran befestigt waren, konnte man früher die Dachfenster öffnen.

Dora öffnet mir das Zimmer 404. Hier wohnte einst Charlie Chaplin. Er war sogar zweimal dort, 1931 und 1936. Bilder von ihm zieren heute die Suite.

Auch der amerikanische Präsident Ulysses S. Grant wohnte auf dieser Etage; er residierte 1897 im Zimmer 410.

Ausländer strömten im 19. Jahrhundert ins Astor House, es war das modernste Hotel in Shanghai. Und dieses Hotel schrieb Geschichte. Schon im Jahr 1867 war es mit Gas ausgestattet. Am 26.Juli 1882 wurde hier das erste elektrische Licht in ganz China eingeschaltet. Und 1901 wurde das erste Telefon Shanghais im Astor House installiert.

Das Hotel hatte die feinsten Zimmer in ganz Shanghai, sie waren groß, geräumig und hochwertig eingerichtet; und sie haben bis heute ihren Charme behalten.

Auch wenn ich auf dem ehemaligen Dachboden im 6. Stock geschlafen habe, war dieser Aufenthalt unvergesslich.

Die Zimmer im obersten Stock sind nicht so geräumig, aber gut ausgestattet. Das macht aber der Blick aus dem Fenster wieder wett, von hier kann man über den gesamten Bund, den Huangpo mit seinem atemberaubenden Schiffsverkehr sowie die himmelsstrebende Kulisse des Stadtteils Pudongs überblicken.

Dora Lin und ich sind uns einig. Man spürt das Leben des 19. Jahrhunderts in jedem Raum. Die zerkratzten und verblichenen Fußböden in den langen Fluren der fünf Stockwerke könnten viele Geschichten erzählen. Man verliert leicht die Orientierung. Ist man nun im ganz alten Gebäude oder im neueren Teil? Es ist auch egal, denn überall hat dieses Haus die wechselvolle Geschichte mit all ihren Facetten bis heute überdauert.

Während des 2. Weltkrieges wurde das Haus von den Japanern besetzt, danach diente es der Stadtregierung. 1949 fand hier die Shanghaier Börse vorübergehend ihren Platz, der originale Gong steht noch heute als Zeitzeuge in der Eingangshalle. Ab dem 27. Mai 1959 heißt dieses Hotel offiziell Pujiang-Hotel, aber der Name Astor House bleibt weiterhin bestehen.

Das Hotel ist seit dem 31.12.2017 geschlossen.