Der Gouvernements-Oberpfarrer Ludwig Ferdinand Winter

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Ludwig Winter wurde am 28. März 1868 in Wittenberg geboren. Sein Vater Dr. Adolf Ferdinand Winter war in Wittenberg Gymnasiallehrer, wurde später nach Magdeburg und anschließend nach Stralsund als Gymnasialdirektor versetzt. Dort legte Ludwig Winter sein Abitur ab. Anschließend studierte er evangelische Theologie in Greifswald und Berlin. 1894 trat er eine Vikarzeit in Gladau (Sachsen) an und seit dem 26. März 1895 war er persönlicher Hilfsprediger des Generalsuperintendenten von Berlin, Wilhelm Adolf Reinhold Faber, der ihm kurze Zeit darauf die Seelsorge im neugegründeten Pfarramt Neu-Rahnsdorf bei Berlin übertrug.

Schon im Sommer 1895 nahm Ludwig Winter eine Stelle als Marinepfarrer an. Neun Monate später bekam er ein Bordkommando auf dem Schulschiff S.M.S. „Gneisenau” als Schiffspfarrer. Vom 7. Mai bis 23. September 1896 reiste er auf der Gneisenau in verschiedene Erdteile und Kolonien, darunter Kamerun in Afrika und in Teile der Südsee. Kurz darauf wechselte er auf die S.M.S. „Moltke”, die vom 24. September bis 22. Dezember von Kiel über die Nordsee, Biskaya und das Mittelmeer zurück bis Wilhelmshaven lief. Vom 9. August 1897 bis 26. März 1898 hatte er Dienst auf der S.M.S. „Nixe” , die von Kiel aus über Amsterdam, Dartmouth, Vigo, Lissabon, Marokko und Madeira nach Kamerun fuhr.

Auf der S.M.S. „Charlotte” fuhr er vom 1. April 1898 bis 4. April 1899. Auf einer Ausbildungsreise ab 8. September in den Atlantik, während dieser Zeit (im Januar 1899) lief die „Charlotte” gemeinsam mit der S.M.S. „Stosch” in den Hafen von Tanger ein. Hier wurde er mit Dolchen angegriffen, weil er eine Moschee mit Stiefeln betreten hatte, doch Ludwig Winter konnte sich wehren. Als die Mohammedaner erfuhren, dass Winter ein Mitglied der deutschen Marine war, sprachen sie beim deutschen Gesandten in Tanger vor und verlangten den Abriss der Moschee und einen Neubau. Aber der Gesandte Gustav Adolf Schenck zu Schweinsberg schickte seinen mohammedanischen Diener, der die Moschee sauber schrubbte.

Moschee in Tanger, Marokko

So schrieb der Schüler Bernhard Ruhstrat, der den Pfarrer in Tsingtau kennengelernt hatte, am 23. August 1910:

Herr Pfarrer Winter war in Tanger in Unkenntnis der Dinge mit Stiefeln in eine Moschee gegangen, dann kamen die Kerls von allen Seiten herbei und griffen unter ihre langen Mäntel, wo sie ihre Dolche tragen. Herr Pfarrer Winter schlug mit dem Stock um sich, damit sie nicht zu nahe kamen, und verflüchtigte sich. Mittlerweile hatten sie herausbekommen, daß er der Pfarrer vom deutschen Kriegsschiff war. Deshalb gingen sie zum deutschen Gesandten und verlangten vom Deutschen Reich eine neue Moschee, weil diese durch Stiefel entheiligt sei; sie ließen sich aber beschwichtigen, als der Gesandte seinen mohammedanischen Diener hinschickte und die Moschee rein schrubben und spülen ließ.

Ludwig Winter machte viele Fotos auf dieser Reise und veröffentlichte ein Jahr später das „Reisealbum der S.M.S. Charlotte”.

De Besatzung der „Charlotte“

Am 10. Mai 1900 fuhr Ludwig Winter mit der „Köln” vom Norddeutschen Lloyd nach Tianjin, China, um als Geschwaderpfarrer des Ostasiengeschwaders während des Boxeraufstandes auf dem Flaggschiff S.M. „großer Kreuzer Fürst Bismarck” Dienst zu tun. Wie auf all seinen Reisen verfasste er auch hier ein Tagebuch mit Eintragungen der Gottesdienste und Beerdigungen auf verschiedenen Schiffen. In seinem Tagebuch befinden sich viele Zeichnungen aus dem Krisengebiet.

Kiautschou-Bucht 1900

Bis zum 2. Oktober 1900 dauerte seine Tätigkeit auf dem „großen Kreuzer Fürst Bismarck”, anschließend wechselte er auf die S.M.S. „Hansa”, die nach dem Einsatz während des Boxeraufstandes und der darauffolgender Überholung am 5. März 1901 in Tsingtau einlief. Schon Ende März fuhr die S.M.S. „Hansa” auf Befehl des Deutschen Reiches nach Australien, um Ende Mai an den Gründungsfeierlichkeiten der „Commonwealth of Australia” in Sydney teilzunehmen. Am 19. Juni erreichte der Kreuzer wieder Tsingtau. Im weiteren Verlauf wurde die „Hansa” auf dem Yangzi eingesetzt. Laut Adressbuch der Stadt Wilhelmshaven war Ludwig Winter in den Jahren 1902 und 1903 auf der „Fürst Bismarck”, die als Flaggschiff in Ostasien blieb.

Im Frühjahr 1905 wurde Ludwig Winter in das deutsche Schutzgebiet Tsingtau als Gouvernementspfarrer berufen, zuständig für Zivil- und Militär-Seelsorge. Er berichtete in seinem Lebenslauf, dass er außerdem ein Haus für den Soldatenverein und Verein Christlicher junger Männer gebaut hat. Am Anfang wohnte er in der Irenestraße 126; ein Jahr darauf kaufte er sich ein Grundstück am Lazarettweg und baute ein Haus unweit der Christuskirche. Das Haus steht heute noch an der Pingyuanlu 12 a.

Am 18. Januar 1908 bekam Pfarrer Ludwig Winter den Roten Adlerorden der 4. Klasse verliehen.

Kaiser Wilhelm II. ernannte ihn im Jahr 1910 durch ein persönliches Schreiben zum Gouvernements-Oberpfarrer in Tsingtau.

Im Sommer 1910 ging er auf Heimaturlaub nach Deutschland und heiratete am 15. September Emmy Schondorff in Saarbrücken. Beide fuhren mit der transsibirischen Eisenbahn nach China. Am 23. Oktober war die Einweihung der neu erbauten Christuskirche, dort hielt Pfarrer Winter die Weiherede.

Als Prinz Heinrich von Preußen im Oktober 1912 Japan besuchte, machte er für kurze Zeit Station in Tsingtau, der Prinz wohnte einem Gedenkgottesdienst von Pfarrer Winter am Ostlager bei.

Dem Ehepaar Winter wurden in Tsingtau zwei Kinder geboren (Ilse 1911 und Rolf 1913).

Bei den Einwohnern Tsingtaus war Pfarrer Winter beliebt. Auf unkonventionelle Weise bestätigte er auch mal eine Taufe auf der Rechnung des Taufkleides. Als ein Bürger Tsingtaus Selbstmord beging, war eine christliche Beerdigung nicht erlaubt. Da zog er seinen Talar aus und beerdigte den armen Mann auf zivile Weise, so berichtete es viele Jahre später eine Schulfreundin von Ilse, deren Eltern auch in Tsingtau gelebt hatten.

1914 im Lazarett x Ludwig Winter

Am 7. November 1914 musste die Regierung des Schutzgebietes Kiautschou kapitulieren und Japan besetzte die Kiautschoubucht. Ludwig Winter schickte vor Beginn der Kampfhandlungen seine Frau mit den beiden Kindern in die deutsche Bergwerkssiedlung Hungshan. Regelmäßig predigte er in der Christuskirche und betreute die Verwundeten.

Der Gouverneur von Kiautschou (1911 bis 1914) Alfred Meyer-Waldeck geriet in japanische Kriegsgefangenschaft. Auf dessen Wunsch wurde Ludwig Winter mit Zustimmung der Japaner als Vertreter der Deutschen ernannt. Am 8. Mai 1915 wurde er von den Japanern aufgefordert, Tsingtau innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Als Grund gaben die Japaner an, dass er unerlaubt seine Frau und die beiden Kinder nach Tsingtau zurückgeholt hatte. Am Sonntag, den 9. Mai hielt Winter den letzten Gottesdienst in der Christuskirche. Tags darauf verließ die Familie Tsingtau mit dem Zug Richtung Shanghai. Am 15. Mai erreichte er Shanghai und meldete sich beim deutschen Generalkonsulat, dort gab er bis zum 4. Oktober Berichte über die Verhältnisse und das derzeitige Leben der Deutschen in Tsingtau ab.

Am 6. Oktober 1915 siedelte er dann nach  Tientsin (heute: Tianjin) über und trat die Pfarrstelle, die mit der Leitung der Deutschen Realschule verbunden war, an. In Tianjin war am 27. Oktober 1913 eine deutsche evangelische Kirchengemeinde gegründet worden. Auch in Peking stellte sich Ludwig Winter ehrenamtlich als Pfarrer zur Verfügung. Am 16. November 1916 fand die Gründung der evangelischen Kirchengemeinde im Pekinger deutschen Nordhotel statt, wo Winter zum Gemeindepfarrer gewählt wurde.

Ludwig Winter: Aus Martin Luther’s Leben 1915

Weil es an der Kaiser-Wilhelm-Schule in Tianjin kaum Lehrbücher gab, verfasste er verschiedene Lesehefte, wie z.B. „Aus Martin Luther’s Leben.

Deutsche Schule Tianjin 1918

Bis 1919 übte Winter dieses Amt aus. Auf Drängen der Briten wurden die viele Deutsche aus China ausgewiesen. Im Mai 1919 traf Familie Winter mit dem englischen Gefangenentransporter „Nore” in Deutschland ein.

Ludwig Winter verstarb am 22. März 1920 in Frankfurt am Main an den Folgen außerordentlicher Einflüsse des Klimas im Schutzgebiet Kiautschou. Seine Grabstätte befindet sich auf dem evangelischen Friedhof am Untertor in Bad Homburg.

Im Jahr 2021 wurden Stationen seines Lebens im Küstenmuseum in Wilhelmshaven im Rahmen der Ausstellung „Tsingtau und Wilhelmshaven -von Kolonie zu Kolonie“ gezeigt.

Ludwig Winter war eine Persönlichkeit, die viele Spuren in China hinterlassen hat. Sein Ansehen wird besonders in Qingdao bis heute bewahrt.

Benutzte Quellen: Familienarchiv Winter, NLA OL Dep. 70 Akz. 2014 Nr. 7, Küstenmuseum Wilhelsmhaven, Adressbuch Wilhelmshaven, StuDeO Info 12/2010, StuDeO Info 12/2013