Auf der Suche nach den Minggräbern besuchten wir oft das Tal der dreizehn Gräber im Norden von Beijing. Dort hatte uns eine Bäuerin erzählt, dass es noch ein weiteres Grab in den Bergen geben sollte. Dieses Kaisergrab sollte westlich von Beijing liegen, in der Nähe des Sommerpalastes zwischen dem Goldberg und dem Jadequellenberg.
Einige Male fuhren wir vergebens in den Westen Beijings. Wir befragten die Bewohner im Dorf 娘娘府 Niang niang fu und alle Leute waren sehr bemüht, uns zu helfen. In den Jahren zuvor wurden viele neue Straßen in Beijing gebaut. Es schien mir, als hätten die Bewohner dieser Gegend das Grab des Kaisers vergessen, denn vom Kaiser Jingtai hatten sie noch nichts gehört und sie waren sicher, dass es kein Kaisergrab in der Nähe gäbe.
Beim nächsten Mal nahmen wir eine alte Zeichnung, die ich in einem chinesischen Buch entdeckt hatte, mit und orientierten uns an den Bergen. Wir erkannten eine Bergkette und meinten, den Goldberg zu erkennen. Nach altem Glauben sollte sich hinter einem Grab ein Berg erheben, der wurde als ein gutes Zeichen für den kommenden Drachen gedeutet. Auch den Jadequellenberg entdeckten wir, denn er hatte die Form eines Schreibtisches. Er sollte vor dem Grab liegen, so hatte ich es in chinesischen Quellen gelesen.
Wir fuhren mit unserem Auto die schmale Straße zwischen diesen Bergen ein paar mal entlang, aber wir fanden einfach kein Eingangstor zu einer Grabstätte. Gab es dieses Grab gar nicht oder war es ein geheimes Mausoleum?
Am nächsten Wochenende begleitete uns ein chinesischer Freund in die Westberge. Er studierte meine Karte und es dauerte nicht lange, und wir passierten ein einfaches schmiedeeisernes Tor. Es war der Eingang zu einer Wohnanlage für pensionierte Militärangehörige. Das Pförtnerhaus war verlassen, so hatten wir keine Scheu, den restaurierten Stelenpavillon, dessen Dach in kaiserlichem Gelb strahlte, zu besichtigen. Genau so wie in Changping, befand sich der Turm vor dem Eingangtor des Grabes.
Die Stele stand hier nicht auf einer Schildkröte, sondern auf einem sechslagigen verzierten Fundament. Sie war in einem guten Zustand und die eingravierten Zeichen waren noch deutlich zu erkennen. Auf der Rückseite war ein Gedicht des Qing-Kaisers Qianlong eingraviert. Die Decke des Pavillons bestand aus bemalten Balken und dekorierten Paneelen, die nach oben hin in der Länge abnahmen.
Etwa fünfzig Meter weiter stand das Eingangstor mit drei Buchten. Während der Stelenpavillon mit gelben Ziegeln bedeckt war, lagen auf diesem Tor einfache graue Ziegel. Eine Mauer zog sich zu beiden Seiten um den Innenhof und Grabhügel.
Der Grabhügel war nicht mehr zu erkennen, aber der Hof hatte zwei verschiedene Ebenen. Im ersten Hof spielten einige Pensionäre 门球 Menqiu, andere Männer sahen zu.
Als sie uns Ausländer entdeckten, kam sofort ein Mann auf uns zu und beschimpfte unseren Freund; es wäre strikt verboten, diese Anlage mit Ausländern zu betreten.
Wie Verbrecher führte er uns zum Eingangstor, dort saß dann doch ein Aufseher. Unser Freund bekam unseretwegen große Schwierigkeiten, denn er musste seinen Personalausweis und Arbeitsausweis abgeben. Nach einer Stunde durfte auch er das Gelände wieder verlassen. Mein Mann und ich waren tief betroffen, dass wir nur durch unsere Neugier für die chinesische Geschichte so viel Ärger bereitet hatten. Aber in den nächsten Tagen wendete sich alles zum Guten, denn der Vater unseres Freundes hatte sich eingeschaltet und die Ausweise seines Sohnes zurückbekommen.
Das 景泰陵 Jingtailing ist das Grab des fünften Kaisers Jingtai. Er starb am 14. März 1457. Obwohl er schon eine Grabstätte im kaiserlichen Gräberfeld in Auftrag gegeben hatte, bekam er ein Prinzengrab. Nach Meinung seines Bruders saß er nicht rechtmäßig auf dem Thron, sein Grab in Shisanling, das Qingling, ließ Kaiser Tianshun zerstören. So wurde Kaiser Jingtai als Prinz erster Klasse in den Westbergen von Beijing begraben. Die Kaiserin Wang starb 50 Jahre später, sie wurde im Jahr 1507 an seiner Seite begraben.