Eine Fülle von Bäumen

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森林

Bauer Li wohnt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hangzhou (杭州). Er ist ein fleißiger und kluger Bauer, dreimal im Jahr bestellt er seinen kleinen Acker. Jeden Morgen setzt er sich mit seiner frühmorgendlichen Ernte an den Straßenrand und verkauft das Gemüse und Obst direkt vor Ort. Schon am Mittag hat er alles verkauft.

Li-Garten.Bonsai

Vor seinem Haus hat er vor vielen Jahren einen Ahornbaum gepflanzt. Er schaut sich die Krone des Baumes an und sinniert über das Schriftzeichen für Baum (木 mù) nach, es ist ein einfaches naturgetreues Bild. Aber man sieht keine Blätter, nur den Stamm und die Äste.

Platz für einen Wald hat er nicht auf seinem Grundstück, doch er hat gleich hinter dem kleinem Haus einige Obstbäume angepflanzt. So zum Beispiel einen Orangenbaum (橙 chéng), zwei Pflaumenbäume (李 lǐ), einen Persimonenbaum (柿 shì), einen Pfirsichbaum (桃 táo) und einen Birnbaum (梨 li).

Vom Ursprung der chinesischen Schrift (Sinolingua Beijing 1997)
Vom Ursprung der chinesischen Schrift (Sinolingua Beijing 1997)

Bauer Li legt sich nach dem Mittagessen unter den Aprikosenbaum und ruht sich aus (休 xiu). Dort sucht er Schatten. Li legt sich hin und schläft sofort ein. Da fällt ihm eine Aprikose (杏 xìng) direkt in den offenen Mund. Bauer Li genießt die süße Frucht und denkt an die anderen Obstbäume (果 guǒ). Alle Bäume haben das Baumzeichen als Radikal in ihrem Namen. Während er zum Haus geht, stolpert er über eine Baumwurzel (本 běn). Den ganzen Nachmittag arbeitet Li hart auf seinem Gemüseacker. Am frühen Abend macht er einen Spaziergang ins Dorf. Er pflückt sich noch schnell eine reife Aprikose, schaut sie an und schmunzelt, als er über das Schriftzeichen nachdenkt: ein geöffneter Mund unter einem Baum. Da sieht er seinen Nachbarn Wang, der lässt seine Bäume wild wachsen, Pappeln (杨 yáng), Ahornbäume (枫 feng) und Weiden (柳 liu). Der hat schon fast einen Wald, denkt Li.

Das Zeichen mit zwei Bäumen (林 lín), das für Forst oder Gehölz steht, reicht hier nicht aus. Es ist schon ein richtiger Wald (森 sēn), eine Fülle von Bäumen. Ein Baum macht noch keinen Wald, sagen die Chinesen.

Bauer Wang schläft den ganzen Tag, baut keine Obstbäume und kein Gemüse an. Da sieht Li ihn im Geäst eines Baumes liegen, und dort liest er ein Buch.

Bauer Wang im Baum
Bauer Wang im Baum

Li beißt in seine Aprikose und das Zeichen 杏 geht ihm durch den Kopf; das umgedrehte Zeichen (呆 ái) zeigt einen Mund über dem Baum; es bedeutet: dumm. Passt zu meinem Nachbarn, denkt er.

„Träum (梦 mèng) weiter“, ruft Bauer Li seinem Nachbarn zu. Im Piktogramm steht unter dem Wald das Zeichen für Abenddämmerung. „Hast du denn kein Bett (床 chuáng)?“ fragt Bauer Li. „Bei dir ist alles anders! Das Zeichen für Bett besteht aus den Elementen Baum unter einer Klippe, nicht über einer Klippe.“

aus einem chinesischen Kinderbuch
aus einem chinesischen Kinderbuch

„Wenn du so weiter machst, wirst du bald in eine Notlage (困 kùn) kommen“, murmelt er leise, so dass es Wang nicht hört. Im Zeichen 困 ist der Baum von einer Grenze umgeben.

Li erreicht nun endlich das Dorf (村 cūn), das Piktogramm charakterisiert neben einem Baum das Zeichen 寸 cun für Maßeinheit. Bedeutet es, dass die Häuser im Dorf aus Holz gebaut sind? Oder gibt es in einem Dorf nur begrenzten Raum für Bäume?

Von weitem entdeckt Li Feuerschwaden, Wald und Feuer bilden das Zeichen für brennen oder verbrennen (焚 fén).

Auf dem Weg nach Hause grübelt er über sein Leben nach. Sein Nachbar ist müßig (闲 xián) und liegt auf der faulen Haut und er selbst arbeitet hart, ihm fallen dafür die Früchte in den Mund.

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