卢沟桥
Endlich ist es soweit. Sechs Monate wohnen wir schon in Beijing und seit dieser Zeit warten wir auf unser Auto. Unsere erste Fahrt führt uns zur berühmten Marco Polo Brücke.
Wir hatten so viel davon gehört und wollten sie nun endlich einmal sehen. Sie liegt außerhalb von Beijing und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Besser gesagt, wir haben die Buslinie noch nicht gefunden. Auf jeden Fall müssten wir mehrere Male umsteigen.
Aber heute ist Sonntag und wir machen unsere erste Fahrt mit dem neuen Auto. Ich suche die berühmte Brücke auf dem Stadtplan, finde sie aber nicht. Deshalb frage ich meine chinesische Nachbarin nach der Marco Polo Brücke. Aber sie versteht mich nicht. Sie spricht ein bisschen englisch, so sagt sie: „I have never heard about Marco Polo bridge.“
Ich versuche es jetzt auf chinesisch. Brücke heißt auf chinesisch Qiao, aber wie heißt Marco Polo? “Make boluo qiao zai nar? frage ich sie nun und versuche den Namen Marco Polo besonders zu betonen. Aber auch das versteht sie nicht.
Ich rufe meinen Chinesisch-Lehrer an.
„Ach, den Namen Marco Polo Brücke kennen die meisten Chinesen gar nicht“, antwortet er. „Sie heißt in Wirklichkeit Lu gou qiao, Lu gou heißt der Fluss, den sie überspannt. Wir wissen wohl, wer Marco Polo war, aber dass diese Brücke nach ihm benannt wurde, ist nur im westlichen Ausland bekannt. Du musst die Brücke im Südwesten auf dem Stadtplan suchen.“
Gut, jetzt kenne ich den richtigen Namen und suche erneut auf meinem Stadtplan. Den Fluss finde ich zwar, aber die Brücke nicht. Trotz einiger Bedenken meines Lehrers machen wir uns auf den Weg. Mein Mann meint, wir fahren einfach Richtung Südwesten und fragen uns dann durch. Das hat er schon überall auf der Welt probiert und hat immer Glück gehabt. Wir haben den Namen, das ist das Wichtige.
Wir wohnen im Norden der Stadt und umfahren die City über den dritten Ring. Im südwestlichen Stadtteil werden die Straßen immer enger. Verkaufsstände mit Obst und Gemüse säumen die Straße, fliegende Händler schieben ihre Dreiräder mit den weitausladenden Pritschen durch die Gasse. Wir können uns nur im Schritttempo fortbewegen. Ich drehe das Fenster runter und frage, ob dies der Weg zur Lu gou qiao ist.
Der Händler gibt keine Antwort. Hat er mich nicht verstanden oder will er nicht? Ich möchte aussteigen, aber die enge Gasse lässt es nicht zu, die Verkaufsfläche ragt bis auf ein paar Zentimeter an unser Auto heran. Ich frage den Mann noch einmal. Er schaut mich grimmig an und dreht sich dann zu seinem Kollegen um. Die beiden Männer unterhalten sich laut in schnellen Wortgewitter und ich glaube, sie unterhalten sich über uns.
Ich sage jetzt: „Ich möchte ein Kilo Äpfel und fünf Bananen kaufen.“
Nun bekommt sein Mund Züge eines Lächelns und seine dunkelbraunen Augen leuchten. Er reicht mir die Früchte durchs Fenster und ich bezahle und weiß, dass der Preis viel zu hoch ist. Nun versuche ich es wieder mit meiner Frage, und er versteht mich jetzt auch.
„Immer geradeaus und am Ende der Straße biegen Sie nach Norden ab.“ Beim Weiterfahren wünscht er uns noch eine gute Fahrt.
Wir folgen seinem Rat, aber die Straße nach Norden endet an einem Verkehrskreisel ohne Hinweisschilder. In der Mitte der Verkehrsinsel beobachten zwei Polizisten in ihren grünen Uniformen den Verkehr. Mein Mann dreht das Fenster herunter und fragt nach dem Weg zur berühmten Brücke. Nach einem kurzen Wortwechsel schwingen sie sich auf das Motorrad und der Sozius dreht sich um und deutet auf seine Nase. Sie fahren los. Wir verstehen sofort, was das zu bedeuten hat: Folgt uns. Im Chinesischen haben die Wörter selbst und Nase die gleichen Zeichen.
Wir fahren etwa zwei Kilometer hinter ihnen her und fühlen uns wie hochrangige Staatsgäste.
Das Polizeihauptquartier liegt an der rechten Seite, die beiden Männer biegen ab, winken uns zu und deuten an, dass wir weiterfahren sollen.
Nach der nächsten Biegung sehen wir die Brücke schon vor uns. Elf gewaltige Brückenbögen überspannen den ausgetrockneten Fluss. Nachdem wir fünf Yuan gezahlt haben, dürfen wir den Eingang passieren. Endlich stehen wir auf diesem gewaltigen Monument. Pferde und Esel haben mit ihren Karren viele Spuren auf den alten Steinplatten hinterlassen.
Da der italienische Weltreisende Marco Polo diese Brücke in seinen Reiseberichten ausführlich beschrieben hat, wurde sie international unter seinem Namen bekannt. Aber Marco nannte sie in seinen Aufzeichnungen Pulisanghin. Als Marco mit seinem Vater und seinem Onkel die Stadt Dadu und diese Brücke besuchte, war sie gerade 80 Jahre alt. Im Jahr 1192 sind die Arbeiten an der Brücke von der Regierung der Dschurdschen vollendet worden. Davor gab es nur eine Ponton-Brücke über den breiten Fluss, der damals noch Yongding hieß und eine wichtige Verbindung zum Kaiserkanal war, der die Hauptstadt mit dem Süden verband.
Die Mongolen, die im Jahr 1271 die Yuan-Dynastie gründeten, nutzten diese Brücke und den Fluss für den Transport für die Baustoffe der neuen Hauptstadt Dadu. Nicht nur Marco Polo liebte die Brücke, auch der Städtebauer Liu Bingzhong war von dieser Brücke fasziniert. Kublai Khan ließ Meister Liu im Jahre 1274 neben der Brücke begraben.
元·卢沟筏运图:描绘了元世祖至元三年(1266年)在卢沟桥附近漕运西山石木用于修造大都宫殿的情景
Wir schreiten die 235 Meter lange Brücke ab und bewundern das steinerne Geländer mit den vielen Säulen. Auf jedem Pfosten sitzt ein Löwe und auf manchen sogar zwei oder drei. Wir machen es den chinesischen Touristen nach und versuchen, die Löwen zu zählen. Es sollen 485 sein, aber sind es wirklich so viele. Nach dem dritten Anlauf geben wir auf, denn manchmal sitzen kleine Löwenbabys so versteckt, dass man sie nicht sieht.
Da spricht uns ein älterer Chinese an. Er schiebt sein Fahrrad über die Brücke und hält bei jedem Pfosten und bewundert die Löwen. Sein Gesicht zeigt viele Furchen, das wenige Haar scheint grau. Er geht schon ein bisschen krumm. Am Kinn hat er drei Warzen und aus jeder kommt ein langes, silbergraues Haar heraus.
„Ich war schon viele Male hier und versuche es immer wieder“, teilt er uns mit, „der Volksmund sagt: 卢沟桥的狮子–数不清Wie viele Löwen hat die Lu gou qiao, keiner kann sie zählen, und auch ich kann bis heute nicht sagen, wie viele es sind.“