Der Krieg in Shanghai

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Teil 2

Ende August fand die Hochzeit von Hans-Jürgen Grützmacher und Charlotte Hütterott in Yokohama statt. Zwei Konsulatsbeamte fungierten als Trauzeugen. Schon einige Tage später ging es zurück nach Shanghai.

Am 24. 10. 1937 schrieb Hans Jürgen Grützmacher:

Shanghai Wochenende. – Rum – wum – bumbum. Es geht schon wieder los. Draußen ist eben die Sonne aufgegangen. Wir brauchen keine Wecker mehr. Die japanischen Morgengrüße an die Chinesen tun es auch. Wie viel ist die Uhr ? Gleich 6 Uhr. Man könnte noch etwas schlafen. Es summt in der Luft. Scheinen mehrere Flugzeuge zu sein. Die tun uns nichts. Sind Japaner, vermutlich hinter dem Jessfield Park, man hört es bei dem ruhigen Morgen nur weiter… Wie schön das Wetter wieder wird. Der Oktober hält seinen Ruf als schönster Shanghai-Monat. Man sollte über Sonntag hinausfahren können. Aber wir sind jetzt ja eingesperrt. Vor einem Jahr waren wir oft draußen: Woosung, Kiating, Changshu, Zose… Ist jetzt ziemlich alles zerschossen. Also mit dem Schlafen wird es doch nichts mehr. Raus aus der Koje, Bad und runter zum Kaffee trinken. Die Japaner sind etwas vorwärts gekommen in Richtung der Nankingbahn. Seit 10 Wochen ihr Ziel, um die Verbindung der Chinesen nach Shanghai abzuschneiden. Die Chinesen haben an anderer Stelle der Front Erfolge gehabt, sagen sie. Im Ganzen wird sich wohl nicht viel geändert haben, wie bisher immer. Dank ihrer enormen technischen Überlegenheit kommen die Japaner sehr sehr langsam vorwärts, an die Settlementsgrenze. Shanghai hat sich daran gewöhnt und das Leben geht fast wie früher weiter. Also fahren wir erstmal ins Büro. Alles strebt demselben Ziel zu die Bubbling Weel Road herunter. Es gibt nicht mehr so viel zu tun wie vor dem Kriege. Nun, damals ging’s auch bald über die Kraft. Neue Projekte schossen wie Pilze aus der Erde. Das ist jetzt alles gestoppt. Aber es gibt eine Menge nachzuholen, was vor einem Jahr vernachlässigt werden musste. Am ärgsten dran ist unsere Versandabteilung. Die müssen jetzt Hundert e von Kisten Fracht wieder zusammensuchen, die in der Verwirrung der ersten Tage irgendwo zwischen Singapore, Manila und Dairen, Kobe ausgeladen wurden, als die Dampfer plötzlich Shanghai nicht mehr anliefen.

Jetzt machen die kleinen Küstenreedereien das Nachgeschäft und schaffen alles an den ursprünglichen Bestimmungsort. Die großen Reedereien besuchen uns noch nicht wieder mit Ausnahme der Japaner, die schon aus Prestigegründen kommen müssen, und der Franzosen, die einzigen die Courage behielten und sich nichts gefallen ließen, als allen den anderen großen Mächten das Herz in die Hosen fiel und das „Evakuieren“ anfing. Jetzt kehren die Evakuierten alle zurück, aus Japan, Hongkong und Manila kommen die letzten Strohwitwen an.

Wie gesagt, im Office haben wir jetzt etwas Atempause. Es hindert einen wirklich nichts etwas zum Wochenende zu unternehmen. Es ist inzwischen fast Mittag geworden. Den ganzen Vormittag hat es gerummelt. Wir können das aus unserem Bürofenster sehen. Mal herausgucken. Da sind sie ja, die 3 „Abreißer“, 3 japanische Flugzeuge, manchmal auch mehr, die in fast stündlicher Wiederkehr ihre 3 oder 4 Runden über Chapei ziehen, wo die Chinesen sitzen und nicht weichen wollen. Bei jeder Runde fallen die Bomben, bei der letzten sehen sie nur nach, was sie angerichtet haben. Heute haben Sie sich wie fast immer das Gelände um die Nordstation der Nankingbahn ausgesucht.

Nordbahnhof

Man sieht die Bomben mit bloßen Auge herunterkommen, dann eine mächtige Rauchfolge und ein paarmal hinter erschüttert die Luft von der Explosion. Sind ja auch nur knapp 2 Kilometer bis dahin. Nach den Mengen von Bomben, die auf fast den gleichen Fleck gefallen sind, müsste eigentlich kein Stein mehr auf den anderen sein. Aber das Verwaltungsgebäude der Bahn, das erst im vergangenen Jahr fertig wurde, steht immer noch. Nicht einmal die 2 großen Antennenmasten auf dem Dach sind herunter. Allerdings haben die Japaner vor ein paar Tagen einige Brandbomben hereingesetzt und alles ist ausgebrannt, der Eisenbetonbau ist so leicht nicht entzwei zu bekommen.

Grützmacher und Kollege

Für Sonnabend Nachmittag haben wir uns eine kleine Fahrt vorgenommen, Hungjiao Road bis an die Bahnstrecke nach Hangchow und dann die Bahn entlang über die Keswick Road zum Jessfield Park. Aber erst nach 5 Uhr, so bei Sonnenuntergang, dann pflegt es ruhiger zu werden. Oh ja, wir kennen den Stundenplan des Krieges ausgezeichnet. Wir können jeden Fremden genau sagen, wann, wo und was passiert. Richtig beruhigt sich der Kriegslärm auch um diese Zeit etwas. Schließlich wollen die japanischen Flieger auch ihren rohen Fisch zum Abendbrot haben. Der Nachmittag war aber auch außergewöhnlich unruhig. Die japanische Offensive versucht vorwärts zu kommen. Man kann bis zu 12 und 20 Flugzeuge auf einmal sehen, dazu schießt die Artillerie, Grabenmörser kann man ausmachen und Maschinengewehre. Wie wir herausfahren Richtung Hungijao Road sehen wir auch, wie Rauchsäulen und der Qualm des Kampfes noch aufsteigen. Es war wieder an der Nanking Bahn. Einige Dörfer brennen anscheinend.

Panzerabwehr

Es sind noch einige japanische Flugzeuge in der Luft. Also warten wir besser, bis auch die verschwunden sind .Wir sind an der Hangchow Bahnlinie, die jetzt die Grenze aller Ausflüge ist. Da steht auch wieder der chinesische Zug, der in der Nacht abfährt, chinesische Flüchtlinge weiter ins Innere zu bringen. Die Maschine ist schon unter Dampf, dahinter auseinander gezogen alle 50 Meter ein Wagen. Seit die Japaner vor kurzem die Strecke hier mit Bomben und Maschinengewehren besucht haben, stellt man die Wagen einzeln auf. Mal eben herüberspringen und die Europäer-Häuser besehen, die sie anstatt des Zuges getroffen haben. 10 Einschläge. Ein Haus ist getroffen. Es war eben fertig geworden und gehört einem Deutschen. Die große Hakenkreuzflagge auf dem Dach hat auch nicht geholfen.

Deutsches Haus Hongjiao Road

Der Besitzer wohnte schon nicht mehr draußen. Ja, da ist wohl eine Reparatur zwecklos, große Risse in den Wänden. Die anderen Bomben sind zwischen die Häuser gegangen. Hier im Garten 2 Trichter nebeneinander. Alle Fenster und die Haustür sind weggeflogen, ebenso die Dachziegel. Sonderbar, man sieht an der Hauswand gar keine Einschläge von Sprengstücken, nur der Dreck ist dagegen gespritzt. Wir gehen in ein Nebenhaus. Auch hier alle Türen aus den Angeln, selbst die Türen im Inneren. Der Luftdruck der Explosion muss ganz ungeheuer sein, viel gefährlicher als die direkte Wirkung der Sprengstücke. Damals zu Anfang des Krieges, bei den Bombentreffern ins Settlement, waren viele der Toten ja auch fast gar nicht verletzt, aber alle Kleider waren ihnen durch den Luftdruck vom Leibe gerissen. Jetzt sind auch die letzten Flieger verschwunden. Die Sonne geht rot unter. Man hört aber noch sehr intensive Kampftätigkeit. Es rummelt dauernd. Aber, da die Flieger weg sind, besteht keine Gefahr mehr, dass noch Reste der Flugabwehr von oben kommen. Also fahren wir weiter längst der Bahn, an dem Stacheldrahtverhau entlang und den Sandsack-Barrikaden der fremden Truppen, die das internationale Settlement schützen.

Sandsackbarrikaden

Am Wege bestellen einige Bauern unbekümmert um den Lärm des Kampfes ihr Feld. Sie sind es nicht anders gewöhnt, seit Jahrzehnten, dass ihr bisschen Eigentum ihnen genommen oder zerstört wird. Um Shanghai herum gab es alle 5 Jahren Unruhen: 19 27 – 1932 – 1937. Früher die Kriege der chinesischen Generäle gegeneinander, seit der nationalen Regierung sind es die Japaner. Etwas weiter verladen Kulis ein gestürztes Pferd. Hat wohl mal wieder ein Sonntagsreiter Unheil angerichtet. Aber sonderbar, hundert Meter weiter liegt noch ein Pferd. Das rührt sich überhaupt nicht mehr, tot. Ein paar Chinesen stehen herum. Es wird uns ein bisschen unheimlich, zumal in der Ferne das Rummeln der Geschütze wieder stärker wird. Wir wollen lieber wieder mehr ins Settlement hineinfahren und biegen an der nächsten Kreuzung ab. Zu Hause hören wir dann auch was geschehen ist. Ein japanischer Flieger ist 4 mal im Sturzflug auf eine Gruppe von Sonntagsreitern, darunter Frauen, und einen englischen Posten heruntergegangen und hat sie mit Maschinengewehren beschossen. Ein englischer Soldat ist tot, einem anderen hat die Zigarettendose das Leben gerettet und der Dritte hat wider geschossen, leider ohne Erfolg. Die Sonntagsreiter haben sich in die in die Gräben retten können, Aber 5 Pferde wurden getroffen. Die japanische Entschuldigung für diesen ganz unglaublichen Überfall am hellen Tage ist auch schon da. Der Pilot hätte die Reitergruppe für zurückgehende chinesische Truppen gehalten. Die Entschuldigung ist an Unverfrorenheit kaum noch zu übertreffen. Aber was wird geschehen? Gar nichts. Man wird sie annehmen. Ebenso wie vor einigen Tagen nichts geschah, als sie Japaner eine Bombe ins Settlement geworfen hatten und nachher sagten, ein Flugzeug hätte seinen Benzintank verloren; selbst der dümmste Rickschakuli hat es nicht geglaubt.

Ebenso wie nichts geschah als der englische Botschafter in seinem Auto angeschossen wurde, als neulich 3 englische Autos mit großen englischen Flaggen auf dem Dach und beim japanischen Kommando angemeldet mit Maschinengewehrsalven aus der Luft, bedacht worden. Es tut nichts und Entschuldigung sind billig. Wir können nun den Sonnabend anständig beschließen? Was gibts in Shanghai noch an Vergnügungen: Kinos und Tanzlokale. Hier wird getanzt, ein paar Kilometer weiter herrscht der Tod. Zum Kino haben wir auch keine rechte Lust. Immer dieselben amerikanischen Nachrichten. Also bleiben wir zu Hause und schalten das Radio ein. Ernste Musik. Passt zum Augenblick, wenn auch ein wenig Aufheiterung besser wäre. Nachher kommen die Nachrichten. In Berlin scheint wieder die Sonne. Noch ein paar Belanglosigkeiten. Über Shanghai nichts. Eigentlich etwas enttäuschend. Einige Worte hätte der Ansager schon von sich geben können. Wir sind hier in Shanghai doch rund 1800 Deutsche, und man hört schon mal ganz gerne, dass man auch in der Heimat an uns denkt. Besonders jetzt, wofür viele ganz grundsätzliche Entscheidungen fürs Leben stattfinden. In die Gedanken hinein fällt ein leises Summen, ganz stetig, nicht wie ein Auto, chinesischer Flugzeuge über Shanghai. Einen Augenblick noch, und schon geht das Geblaffe der japanischen Flugabwehr los. Dazu Scheinwerfer.

Sehen können sie sie sicher nicht. Schießen wohl, auch um sich Mut zu machen. Aber natürlich immer direkt über das Settlement. Brillantes Feuerwerk der Leuchtmunition dazwischen platzende Schrapnells. Leider platzen nicht alle. Neulich es erst bei einem Bekannten so ein Ding wie eine Brieftasche groß durch die Decke gegangen. Wenn die Explosionen näher kommen, duckt man sich unwillkürlich. Aber es geht vorüber.

Unsere Leute genannten haben es doch noch unangenehmer. Die haben schon manche Nacht im Unterstand verbracht, wenn die japanischen Bomben herunter kamen. 1000 Uhr abends. Der lokale Rundfunk bringt die Nachrichten. Starke Kampftätigkeit bei Shanghai. Haben wir auch gemerkt. Also gehen wir schlafen. Man kommt aber nicht so Recht zur Ruhe doch etwas nervös. Es war heute mehr los als gewöhnlich , chinesische Flieger kommen auch noch ein paarmal bis nach Mitternacht. Das Schießen macht einen wieder wach. Morgen ist Sonntag . Was kann man unternehmen. Ja, das ist die Idee. Wir gehen ins Konzert des Shanghai Municipal Orchestra: Bach – Brahms – Beethoven. Der Konzertsaal hat eine ganz solide Decke für alle Fälle, wenn von der Flugabwehr was übrig bleibt. Und dann schläft man doch, bis man am Morgen wieder geweckt wird.

6. Januar 1938

Übrigens haben wir auch ein Weihnachtsgeschenk bekommen, jedenfalls haben die Japaner die Eröffnung von Chapei für Europäer als solches bezeichnet. Wir haben dann auch einen der Feiertage zu einer Fahrt bis nach Woosung, einem der wenigen Ausflugsziele selbst des friedlichen Shanghai benutzt . Das Beste war daran die frische Brise draußen auf dem Deich an der Wangpoo-Mündung. Aber was dazwischen liegt, ist grausig: völlige und restlose Zerstörung. Das Dorf Woosung mit seiner Lotsenstation und im Hotel, wo man sonst nach einem ordentlichen Marsch Kaffee trank: Trümmer, Civic Centre, Kiangwan, der chinesischer Versuch eines größeren Shanghai: Ruinen. Chapei, nächst zum Settlement: kilometerweit Trümmer, nichts als zerstörte Häuser und Arbeitsstätten.

Ein paar Mauern, die noch stehen. Die Hauptstraßen schon aufgeräumt die Nebenstraßen noch voller Schutt und nur unter Gefahr zu betreten. Kaum eine Menschenseele, manchmal ein japanischer Posten. Eine eiserne Tür quietscht in die Stelle, der Wind spielt mit einem Stück herabhängenden Blechs. Ein paar fette Hunde streichen durch die Trümmer, überall noch chinesische Barrikaden und Betonunterstände, trotz des Bombardements noch unbeschädigt. Weiter zum Nordbahnhof in große Bombentrichter. Wer nicht schon gleiches gesehen hat, kann sich kein Bild von der Trostlosigkeit machen. Und man vergesse nicht, dass die meisten Städte, die die Japaner inzwischen erobert haben, gleich aussehen werden. Auch die kleinen Dörfer westlich von Shanghai sollen zerstört sein und verlassen. Nantao auf der anderen Seite ist noch nicht aufgeräumt. In Pootung gab es noch am Weihnachtsabend neue Brände, die der allgemeinen Überzeugung nach nur die Japaner angesteckt haben können.

Siemens Mitarbeiter 1938

 

Hans-Jürgen Grützmacher blieb noch bis 1941 bei Siemens in Shanghai. Danach nahm er eine Stelle bei Siemens in Berlin an. Noch einmal reiste er nach Ostasien, die Firma Siemens schickte ihn Ende der 50er Jahre nach Bangkok. Seine Frau Lotti starb 1952, sie wurde nur 49 Jahre alt.

Nach vielen Stationen zog Grützmacher nach Schleswig-Holstein am Wittensee, dort starb er 1985.

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