Am Gelben Fluss in Zentralchina lebte viele Jahrhunderte hindurch eine große jüdische Gemeinde. Ihre Geschichte ist eindrucksvoll und bewundernswert. Laut Inschrift auf einer 1489 n.Chr. errichteten Stele bildete den Anfang eine Gruppe von 70 Familien aus 17 Stämmen mit etwa 500 Personen, die Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts in der Stadt Kaifeng eintraf. Vermutlich kam sie über die Seidenstraße aus Bokhara in Persien, denn ihre Liturgien waren im Bokharadialekt geschrieben.
Über ihre Anfangszeit bis Mitte des 14. Jahrhunderts geht aus den einigen von den Juden selbst hinterlassenen Dokumenten hervor, dass sie in Kaifeng, der Hauptstadt der Nord-Song-Dynastie (960 – 1126 n. Chr.), freundlich aufgenommen wurden. In dieser Stadt, die damals mit mehr als einer Million Einwohnern eine der größten und reichsten Städte der Welt war, gehörten sie bald zu der wohlhabenden Kaufmannsklasse. Sie erhielten die gleichen Rechte wie die einheimischen Bürger und durften nach ihren Gebräuchen und Riten leben. 1163 kauften sie sich ein Grundstück im Zentrum der Stadt und erhielten die Erlaubnis, dort eine Synagoge zu bauen. Im Jahr 1279 errichteten Mongolen die Yuan-Dynastie in China (1279 – 1368). Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden von den neuen Herrschern als Finanzberater und Steuerbeamte eingestellt oder dienten in der Armee. 1279 rekonstruierte und vergrößerte die Gemeinde mit besonderer offizieller Erlaubnis die Synagoge.
Doch die „goldene Ära“ der jüdischen Gemeinde lag in der Zeit der folgenden Ming-Dynastie (1368 – 1644), wie aus den von den Kaifenger Juden hinterlassenen Dokumenten ersichtlich ist. Durch die Wiedereinführung des kaiserlichen Prüfungssystems für Beamte hatten auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde über das erfolgreiche Absolvieren von Prüfungen Zugang zu hohen staatlichen Positionen. Aus den Inschriften eines im Jahr 1489 im Hof der Synagoge errichteten steinernen Monuments ist erkennbar, dass mehr als zwanzig Gemeindemitglieder kaiserliche Prüfungen bestanden und die entsprechenden Titel erhalten hatten. Vierzehn dienten als Offiziere am kaiserlichen Hof oder beim Militär, vier waren amtliche Ärzte, von denen einer Leibarzt des Prinzen war. 1512 wurden auf der Rückseite des Monuments weitere Inschriften angebracht, aus denen hervorgeht, dass Mitglieder der Gemeinde kaiserliche Minister und kaiserliche Gesandte waren. Jetzt noch kann man jüdische Namen in den archivierten alten Verzeichnissen lokaler Behörden über dort tätige bedeutende Persönlichkeiten finden. Bemerkenswert ist auch, dass dem Leibarzt des Prinzen wegen seiner hervorragenden Dienste vom Kaiser ein chinesischer Name als Auszeichnung verliehen wurde.
In dieser „goldenen Ära“ waren die Kaufleute der Gemeinde nicht nur lokal aktiv, sondern durch Reisen auch in anderen Städten und benachbarten Ländern. Auch wurden in religiösen Angelegenheiten Kontakte mit Juden in anderen Städten unterhalten. Es gab kleine jüdische Gemeinden in Ningxia, Ningbo und Yangzhou, aber die Kaifenger Gemeinde mit 500 Familien und über 4.000 Menschen war das religiöse Zentrum des Judentums im Herzen Chinas. Die Lebendigkeit des religiösen Lebens der Gemeinde spiegelt sich auch in der aufwendigen Pflege der Synagoge wider. Sechsmal während der Ming-Dynastie wurde sie umgebaut und renoviert.
Doch mit dem Jahr 1642 endete die „goldene Ära“. Kaifeng wurde monatelang von Rebellen belagert. Der Jude Guangtien, der später der „Held von Kaifeng“ genannt wurde, verteidigte an der Spitze von zehntausend Mann die Stadt. Am Ende, als die Stadt nicht aufgab und die Einwohner zu verhungern drohten, öffneten kaiserliche Truppen und zugleich auch die Rebellen den Deich des Gelben Flusses, um die Belagerung zu beenden. Unbeabsichtigt wurde dabei auch Kaifeng vernichtet und versank in den Fluten. Nur die höchsten Giebel einiger Paläste, der Glockenturm und die Pagode ragten aus dem 15 m hoch stehenden Wasser. Nachdem zuvor schon 20% der Bevölkerung verhungert war, ertranken über 70% der verbliebenen Menschen in den Fluten. Von den jüdischen Einwohnern blieben nur 200 Familien übrig
Zugleich endete kurz darauf die Ming-Dynastie und wurde 1644 von der Qing-Dynastie der Mandschu abgelöst. Im Gegensatz zu den Ming-Kaisern waren die Mandschu-Herrscher anderen ethnischen Gruppen gegenüber feindlich gesinnt. Hinzu kam, dass sich das wirtschaftliche Zentrum des Landes zu den Küstenregionen verschob. Kaifeng verlor seine wirtschaftliche Bedeutung und sank in den Rang einer Provinzstadt herab.
Dennoch konnte sich die jüdische Gemeinde von Kaifeng anfangs wieder etwas erholen. Sie restaurierte und kopierte in jahrelanger Mühe die vom Wasser beschädigte Tora und errichtete 1663 in der noch weitgehend zerstörten Stadt eine neue Synagoge. In eine weitere Stele wurden 1663 Texte eingemeißelt, die heute ein kostbares Dokument der Geschichte der Juden von Kaifeng sind. Anfang des 18. Jahrhunderts berichtete der Jesuit Gonzani von einer kleinen, aber blühenden jüdischen Gemeinde, die den Sabbat und die jüdischen Feste achtete und ihre Söhne von klein auf die hebräische Schrift und Sprache erlernen ließ.
Aber die äußeren Bedingungen wurden immer schwieriger. 1725 verbannte der Kaiser alle christlichen Missionare aus China. Die jüdische Gemeinde verlor dadurch einen letzten Zugang zu Informationen aus dem Ausland und war mehr isoliert als je zuvor. Aufstände der Moslems, der Taiping-Aufstand, Hungersnöte und Naturkatastrophen zerstörten die Kontinuität im religiösen Leben der jüdischen Gemeinde. 1810 starb der letzte Rabbi und damit der Letzte aus der Kehillah, der noch Hebräisch konnte. 1841 und 1849 beschädigten Überschwemmungen durch den Gelben Fluss die Synagoge. Als sich 1857 eine Armee der Taiping-Rebellen Kaifeng näherte, flohen die meisten Einwohner, auch die Juden, und viele von ihnen kehrten nie zurück. Durch eine erneute große Überschwemmung 1860 wurde die Synagoge völlig zerstört und wurde nicht wieder aufgebaut.
Trotz des Fehlens des religiösen Lebens in der nachfolgenden Zeit gibt es immer noch Einwohner Kaifengs, die sich zur jüdischen Identität bekennen. 1980 konnten sich 263 Familien und 638 Einzelpersonen in Kaifeng auf ihre jüdischen Vorfahren besinnen und hielten noch an einigen jüdischen Traditionen fest, wie die chinesischen Wissenschaftler Zhang Qianhong und Li Jingwen angeben. In jüngster Zeit besuchten über Shavei Israel Gruppen junger Kaifenger Israel und lebten und arbeiteten dort auf einem Kibbuz, um das Wissen über die jüdischen religiösen Riten und Gebräuche wieder zu erwerben und in ihre Heimat zurücktragen. An die großartige Geschichte der Kaifenger Juden erinnert heute ein jüdisches Museum in Kaifeng.
Es gab nie Antisemitismus in China. Die chinesische Regierung weist auf die völlige Assimilierung der Juden hin, zählt sie deshalb nicht zu einer der 55 Minderheiten und die jüdische Religion nicht zu den Religionen Chinas. Jedoch plädiert der führende chinesische Wissenschaftler auf dem Gebiet der Forschung über Kaifengs Juden, Xu Shin, für die Anerkennung der jüdischen Religion als einer der Religionen Chinas. Die Beziehungen zwischen Israel und China sind ausgesprochen freundlich. Jedes Jahr besucht die in Peking residierende israelische Botschaft die Stadt Kaifeng in Erinnerung an die einzige über Jahrhunderte sesshafte jüdische Gemeinschaft in China.